Der Künstler wird oft gefragt, wie er seine Kunst definiert, aber auf ein Schlagwort, einen "-ismus" lässt er sich nicht reduzieren. Paul Critchley passt in keine Schublade. vielmehr setzt er viruos Elemente des Realismus, des Naturalismus und Idealismus für seine Kunst ein. Er spielt auf humorvolle Weise mit der Wahnehmung von Form und Raum, mit Realität und Fiktion.
Paul Critchley schafft Bildobjekte, die in vollendeter Perspektive dreidimensional wirken, räumliche Tiefe suggerieren, wo doch keine ist. Dabei nimmt er innerhalb komplexer Kompositionen durchaus verschiedene Standpunkte ein, von denen aus er seine Perspektiven konstruiert. Schließlich steht der Betrachter ja auch nicht immer an einem Punkt. Konsequenterweise hat er das rechteckige Bildformat verlassen und gibt seinen Objekten die Silhouette des Dargestellten oder den Umriss des Raumausschnittes den er abbildet. Klappen, die sich öffnen, legen überraschende, neue Bildräume frei. Dabei legt er es nicht auf Augentäuschung an. Obwohl er manchmal auch dreidimensionale Bauteile in seine Werke einsetzt, sind sie immer als gemalte Bilder erkennbar.
Seine Motive scheinen zunächst ganz alltäglich: Raumfluchten, Einrichtungsgegenstände, Fenster mit Ausblick, technische Geräte, einzelne Gegenstände des täglichen Gebrauchs, meist auch mit deutlichen Gebrauchsspuren. Mit schelmischer Freude treibt er sein Spiel mit dem Banalen. Indem er ans Absurde grenzende Motivzusammenstellungen kreiert oder seine Bildwelten ins "alltägliche Chaos" stürzt, legt er Unzulänglichkeiten bloß, die nur allzu menschlich sind. Gelegentlich wird der Betrachter mit Spiegeln direkt in die Bildwelt versetzt. Er amüsiert sich und kann sich dennoch ernsthaft fragen: "wo stehe ich eigentlich - vor dem Bild oder mitten darin?"
Buchstäblich mitten darin darf man sich in seiner begehbaren Installation A SENSE OF PLACE fühlen. Es ist ein Appartement mit einer höchst nonchalanten Ausstattung. Alle Möbel, Gebrauchsgegenstände und Personen sind Gemälde, die in ihren Konturen dem Dargestellten folgen. Klappen an Fenstern und einigen Möbeln öffnen überraschende Ein- und Ausblicke...
Paul reading whilst in front of the painting installation ‘Brexshit - A pile of crap’
Discourse by Professor Dr. Michael Heinrich at the exhibition vernissage
Ausstellung Galerie in der Remise, Coburg
Laudatio Paul Critchley
Prof. Dr. Michael Heinrich, Hochschule Coburg
– Entwicklungen innerhalb des Kunstverständnisses und Kunstbegriffs:
– heutige Sehgewohnheiten: Trennung zwischen darstellenden, abbildenden, illustrierenden Funktionen und anderen Funktionen der Kunst (semantischen / bedeutungsrepräsentierenden /symbolischen Funktionen)
– seit Erfindung der Fotografie, ja schon seit dem späten 18. Jh. (Turner; Vorimpressionisten) Abtrennung (licht-)atmosphärischer, subjekt-/empfindungszentrierter, expressiver Sichtweisen auf die Wirklichkeit
– realistische Darstellung wandert ab in die Medien Foto, Film, Fernsehen, Computerspiel, Illustration und wird dort eher als „Handwerk“ denn als „Kunst“ betrachtet
– Kunst und Nutzfunktion sind spätestens seit klassischer Moderne (Abkippen in Funktionalismus, Rationalismus) getrennt; Nutzfunktion (etwa Architektur) hat nüchtern und sachlich zu sein, Kunst spielt mit Denken und mit Wahrnehmung, Kunsthandwerk darf schön sein
– ideologisch sehr gefestigte Tradition, aber keineswegs irgendwie sachlich/psychologisch begründbar
– die Grenzen in der Kunst weichen immer mehr auf: Realismus kehrt als Zitat zurück (Postmoderne, Leipziger Schule, Theater), multimediale Kunstformen holen über Medien realistische Darstellungsformen zurück in die Kunst; der Funktionsbegriff weitet sich auch auf das Schöne, das Spielerische, das Atmosphärische aus
– gut so: im „Realismus“ vergangener Kunstepochen war IMMER schon ein starker subjektiv-expressiver Aspekt mit enthalten; es war IMMER schon ein Spiel mit dem Denken und mit der Wahrnehmung, aber mit dem Werkzeug der mimetischen Annäherung
– wie positionieren sich das Werk von Paul Critchley innerhalb dieses momentanen Rahmens?
Paul Critchley ist mit seinen Werken weltweit in öffentlichen wie privaten Sammlungen vertreten.
Critchleys Werke verweisen auf die uralte Tradition des augentäuschenden Malens („trompe l’oeuil“), das innerhalb der europäischen Kunsttradition schon seit der griechisch-römischen Antike gepflegt wird. Den Reiz dieser Art von Malerei könnte man auf den vermutlich instinktiven Spieltrieb zurückführen, nämlich auf die Lust, in virtuelle Welten einzutauchen und gleichzeitig die Sicherheit des jederzeit einnehmbaren distanzierten Blicks zu genießen. Das spielerische Springen zwischen diesen beiden Arten des Seins – des teilnehmenden wie des beobachtenden Seins – wird offenbar schon immer als lustvoll erlebt.
Critchley hält dem Vergleich mit der Virtuosität dieser Tradition in jedem Fall zunächst malerisch stand. Seine Bilder bzw. Installationen sind jedoch mehr als nur im klassischen Sinne virtuos augentäuschend und naturalistisch abbildend: Sie überschreiten mittels ihrer Kontur die Grenze von der Abbildung zum abgebildeteten Objekt selbst. Ein abgebildeter Fensterladen erhält auf diese Weise eine verblüffende Doppelfunktion: Er ist Bild eines Fensterladens und gleichzeitig selbst der Fensterladen, der abgebildet wird. Critchley inszeniert damit lustvoll den Hinweis Magrittes auf den Unterschied zwischen Objekt und dessen Abbildung in seinem Bild „Der Verrat der Bilder“ (Ceci nést pas une pipe.) und beweist uns, wie erfrischend es ist, diesen Unterschied spielerisch aufzuheben, um ihn dann wieder auszuspielen.
Gleichzeitig begnügen sich Critchleys Bilder nicht mit der Abbildung eines statischen Raumverhalts. Sie enthalten Spuren von geheimnisvollen Geschichten, die uns als Weiterspinnende einbeziehen und damit unsere wache, natürliche Kreativität unterstützen.
Critchleys Bilder machen auf höchstem Niveau Spaß, weil sie uns den Reichtum unserer Wahrnehmung zeigen, Welten im Kopf zu konstruieren, sie einerseits für wahr zu halten und andererseits die Kontrolle zu bewahren.